Warum Turczynski? „Weil es immer so war, ist, und bleibt.” Die Antwort klang wie ein Manifest. Eine bestimmte Stimme am Telefonhörer, die Stimme einer älteren Wiener Dame, voller Stolz und mit großem Interesse für die Welt und für mein Gespräch über ihr Unternehmen.
Auf den Spuren der Geschichte der polnisch-österreichischen Beziehungen wandelnd, stieß ich auf die Turczynskis im Zentrum Wiens, auf der Wollzeile Nummer 18. Ich wurde bereits erwartet. Ich öffne die Tür und drücke auf die Klingel, die das Eintreten der Kunden vermeldet.
„Ich begrüße Sie“, höre ich. „Mama freut sich bereits auf das Gespräch.“
„Wie alt ist Frau Dr. Ilse Merz?” frage ich.
„86 Jahre, aber sie wird Ihnen alles genau zeigen können. Sie hat einige Beschwerden, ihr Gedächtnis hingegen ist ausgezeichnet.
Gleich am Beginn unseres Gesprächs bin ich von der Bestimmtheit in ihrer Stimme überwältigt. Da ich selbst in meinem familiären Umfeld mit Menschen in diesem Alter zu tun habe, war ich auf ein zähes Gespräch vorbereitet. Hier aber schießen mir die Antworten wie Blitze entgegen. Die ältere Dame ist sowohl am Gesprächsthema als auch an meiner Person interessiert.
Die Erzählung von Frau Ilse Merz
Mein Großvater, Franz Turczynski, kam um das Jahr 1850 von Polen nach Österreich. Wahrscheinlich wurde er in der Ortschaft Turczyn geboren, die in der Umgebung der heutigen Stadt Bialystok liegt. Die Ortschaft war nach seiner Familie benannt. Ihre Wurzeln waren adelig. Warum er nach Wien kam? Schwer zu sagen. Damals reisten die Menschen auf der Suche nach einer interessanten Arbeit durch ganz Europa. Er fand sie hier, in der Wollzeile Nummer 18. Mein Großvater, ein begeisterter Jäger und Alpinist, Gründer des Alpenvereins „Altenberger” eröffnet das Geschäft am 2. März 1882. Das Ziel ist es, Touristen, Spaziergänger, Liebhaber der Berge und der Jagd mit guter und funktioneller Kleidung auszustatten. Ich unterbreche sie, wundere mich, dass das so weit zurückliegt und frage, warum am Nachnamen bis heute festgehalten wurde.
Tradition verpflichtet
Ich wiederhole ihren Satz, den sie entschlossen sagte: Weil es immer so war, ist und bleibt. Man muss die Tradition pflegen. Mein Großvater war der Gründer, und solange es das Unternehmen geben wird, so lange wird es seinen Namen tragen. Beständigkeit ist wichtig, dank ihr heben wir uns von den anderen Unternehmen ab, die kommen und gehen. Sie kommt auf die Familiengeschichte zurück.
„Schon vor dem Ersten Weltkrieg erfreute sich das Geschäft meines Großvaters großer Beliebtheit unter den vermögenden Kunden. Der Zerfall der Monarchie hatte einen Rückgang zur Folge. Dank des Eintritts Wilhelm Mayer-Jesses in das Unternehmen im Jahre 1922, der mit der Witwe des Gründers die Tradition weiter am Leben hielt, konnte sich das Geschäft Turczynski weiter entwickeln. Durch den Arbeitseifer des Ehepaares überlebte das Geschäft in der Wollzeile Nummer 18 einen weiteren Krieg sowie Plünderungen.
Dr. Ilse Merz führt ihre Tochter Christl Binder-Krieglstein in die Arbeit ein. Gemeinsam mit ihrem Mann bringt sie ihr den Grundgedanken, der der Führung des Geschäfts zugrunde liegt, näher: für den Kunden machen wir alles und verkaufen ihm nur das Beste. So endet mein Gespräch mit der Mutter der jetzigen Inhaberin des Geschäfts. Ohne sie hätte Turczynski nicht bis heute überlebt.
Alte Ordner, Fotos, Preislisten
Die Geschichte existiert in diesem Geschäft nicht nur in den Erinnerungen. Sie ist greifbar. Ich betrachte alte Ordner, Preislisten, Fotos, Artikel. Einige von ihnen sind in gotischer Schrift verfasst, schwierig zu entziffern. Auszüge von Artikeln aus alten Ausgaben von „Die Presse“, Programme von Jagdmessen, Bestätigungen über die Teilnahmen an Modeschauen, Alpinführer. Eine frühere Inhaberin, eine sehr gebildete Frau und Doktor der Handelswissenschaften, verstand es, das Unternehmen innerhalb der Branche gut zu vertreten. In aristokratischen Kreisen zur Kaiserzeit sagte man: „Wer gut angezogen sein will, der geht zu Turczynski auf die Wollzeile.“ Es gehörte zum guten Ton, sich in diesem Geschäft einzukleiden. Man ging zu Turczynski. Der polnische Name war ein Passierschein zur gesellschaftlichen Elite Europas, er zeugte von Geschichte, gutem Geschmack, war ein Garant für Qualität. Und so ist es auch heute. Eben betritt ein Mann das Geschäft.
„Guten Tag, Herr Doktor! Wie war die Kur?“
„Ach, toll, aber es ist kalt geworden. Ich brauche eine warme Mütze.“
Frau Christl öffnet eine Schublade voller Mützen. Sie hilft bei der Auswahl, berät über die verschiedenen Stile und Arten der Kopfbedeckungen. Schließlich wird eine Wahl getroffen. Die Mütze wird zunächst in dünnes Pergamentpapier eingewickelt, mit einer eleganten Schleife versehen, um am Ende in eine elegante Papiertasche gepackt. Der Kunde wird verabschiedet, man empfiehlt sich für die Zukunft. Diskretion, Interesse am Verkauf, Distanz, aber auch Herzlichkeit – nach diesen Grundsätzen wird ein Kunde bei Turczynski bedient.
Ich betrachte Preislisten aus dem Jahr 1920. Titel: für adelig Geborene. „Als Experten für Jagd-, Sport- und Touristenmode erfreuen wir uns in gehobenen Kreisen guten Renommees und Anerkennung” – dies schrieb Franz Turczynski, der Gründer der Firma, in einem alten Prospekt über sich. Betrachten wir die ausgewählten Kleidungsstücke und die Preise von vor 100 Jahren. Ein Samthut – 48 Schilling, Reithosen – 40, Hubertusmantel aus Kamelhaaren – 110, Wiener Wanderschuhe – 55, Westen aus gekämmter Kamelwolle – 55 und schließlich verschiedene Taschen für Proviant für je 7 Schilling. Wieder erscheint ein Kunde, ich muss das Gespräch unterbrechen. „Das ist eine Gräfin“, flüstert die Chefin. Eine Dame aus gutem Hause, aber auf Wunsch des Unternehmens gebe ich den Namen nicht preis. Diskretion ist die Firmenphilosophie.
Ich blättere im Gästebuch. Bekannte Namen aus der Welt der Musik, Politik und Kunst aus vielen Ländern. Wieder werde ich um Diskretion gebeten. Ich lüfte das Geheimnis ein klein wenig, zähle dabei auf das Verständnis der Künstlerwelt. Im Geschäft waren bereits Udo Jürgens, Peter Weck und andere. Ich entdecke auf die Namen vermögender Familien aus Lichtenstein und Monaco. Auf dem Tisch liegen Programmhefte von Jagdmessen in Budapest, Mailand und Prag.
Über die Jagdmode
Jede Sportart hatte ihre eigene Farbe, ihr eigenes Aussehen. Tennis ist weiß, die Jagd grün. Die Farbe soll es ermöglichen, mit der Umgebung zu verschmelzen, sie dient dem Schutz. Dies ist eine kleine Art der Lüge, indem wir vorgeben, dass wir nicht da sind. Aber Grün hat nicht nur eine Schattierung. Es gibt moorgrün, flaschengrün, englischgrün, olivgrün. Die Farbe passt gut zu Rot-, Orange- und Goldtönen. Auch diese sind Farben des Adels. Dessen Vertreter drücken durch entsprechende Kleidung ihre Zugehörigkeit aus, obwohl sie ihre Titel bereits seit Langem nicht mehr benutzen. Frau Christl Binder-Krieglstein zeigt, wie man die Kleidungsstücke bei der Jagd richtig trägt. Zuerst die Jacke, darüber eine Weste. Die Füße schützt man mit Gummistiefeln oder solchen aus Leder für die Damen. Hosenröcke aus getrockneter Wolle sind wieder im Kommen. Ein interessantes Detail: die traditionellen grünen österreichischen Jacken werden in Paris hergestellt. Die Jagdjacken werden aus Mischwolle hergestellt und haben ein Plüschfutter, die Bewegungsfreiheit garantiert und vor Feuchtigkeit und Kälte schützt. Die Taschen sollten mit Flanell ausgekleidet sein, um Wärmegefühl zu geben. Hochwertige Kleidungsstücke dieser Art werden auch in Schweden hergestellt, zumal die Bewohner dort selbst schweren klimatischen Bedingungen ausgesetzt sind. Wichtig ist die Länge der Jacken, die die Nieren schützen sollen. Im Winter tauschen Jäger ihre knielangen Hosen gegen solche aus Wolle aus, die über eine doppeltes Futter und zahlreiche Jackentaschen verfügen und die einfach zu hohen Schuhen angezogen werden können. Ein klassischer langer Mantel aus Kamelgarn mit versteckten Knöpfen, ein leichter Wollhut, Jacken aus Himalaya-Loden, Rollkragenpullover aus Kaschmir – eine Kombination, die seit Jahren gleich ist. Elegant und funktionell zugleich.
Das Unternehmen Turczynski wahrt den guten Stil, weshalb die wichtigsten Familien Europas zu seinen Kunden zählen. Auf Bestellung werden Kleidungsstücke aus alten Mustern und Materialien hergestellt. Sicherlich nicht Mode für jeden, aber es ist ein beruhigendes Gefühl zu wissen, dass wir diese andere Art der Eleganz haben möchten, sie auch heute noch erhältlich ist, dass solche Geschäfte in der Masse der aus dem Boden schießenden Einkaufszentren, die Kleidung anbieten, deren Wert nicht größer als jener von Einwegtellern aus Plastik ist, nicht untergehen.
Frau Christl Binder-Krieglstein zeigt mir eine Liste der Kunden, die für Kompetenz und Herzlichkeit danken. Wichtige Namen aus ganz Europa. Auch ich trage mich in das Gästebuch ein und wünsche dem Unternehmen Nachfolger, Durchhaltevermögen und Erfolg.
Polonika nr 241, Februar 2015