„Ich bin glücklich, obwohl ich einsam bin. Ich bereue nichts. Würde ich große Dinge bereuen, so würde ich es auch bei kleinen tun…“ – Dies sind die Worte von Danuta Walesa, die wir in der Einführung ihres Buches Träume und Geheimnisse lesen, einem Buch, über das in Polen so viel gesprochen wird.
Im August dieses Jahres konnte ich an einer Autorenlesung der Präsidentengattin teilnehmen. Diese Lesung beschloss eine interessante Woche unter dem Titel Literacki Sopot (Literarisches Sopot). Die Veranstaltung mit Danuta Walesa war ein Treffen mit der „schönen” Geschichte und einer schönen Frau, die das Publikum und mich mit ihrem Charme, ihrer Direktheit und ihrer Gewandtheit in ihren Bann zog. Die Lesung war wie ihr Buch: ergreifend, ehrlich, mutig.
In den Saal kam eine Frau in einem schönen Kostüm, energisch, etwas aufgeregt, aber selbstsicher. Ich betrachte diese Frau mit dem Blick einer Frau der gleichen Generation, prüfend und vergleichend, wurde aber augenblicklich von ihr eingenommen. Eine Frau, die Geschichte geschrieben hatte und zur Legende wurde, Mutter von acht Kindern, und nun endlich Autorin eines mutigen Buches über ihren Mann, Politik und ihr Land, aber vor allem….über sich selbst. Zahlreiche Interessierte kamen zur Lesung. Bei allen konnte ich denselben Blick feststellen: prüfend, nicht immer akzeptierend. Und doch kam es im Saal zu einem Wunder, denn das Gefühl, das sich durchsetzte war…Begeisterung.
Das Publikum stellt Fragen, Frau Walesa gibt überraschende Antworten. Einsam sei sie, aber glücklich. Einsam? Die Mutter von acht Kindern, immer in Gesellschaft? Sie habe gelernt, aus den Momenten der Einsamkeit Freude zu schöpfen.
Alle sind neugierig, wie sie ihren Mann kennengelernt hat. Sie erzählt, sie habe damals in einem Laden mit Blumen gearbeitet. Er kam ins Geschäft. Er blieb kurz drin und kaufte einen Kaugummi, betrachtete sie dabei – und so geschah es. Er kam von da an jeden Tag. Lech Walesa.
Danuta Walesa spricht über Liebe. Sie sagt, diese sei sehr wichtig im Leben und dass jene, die zur Liebe nicht im Stande sind, unglücklich seien. Wichtig sind auch Kinder. Sowohl sie als auch ihr Mann wollten Kinder haben, viele Kinder. So gründeten sie eine wundervolle Familie. Scherzhaft bemerkt sie, dass ihr Mann immer an erster Stelle kommen wollte, und plötzlich spielt sie die erste Geige, bereits seit Längerem. Obwohl sie sich vor allem um den Haushalt kümmerte, schenkte ihr ihr Mann Gehör. In vielen Angelegenheiten holte er Ratschläge ein. Und was sagt sie dazu, dass er ihr Buch noch nicht ganz gelesen hat? Es falle ihm schwer, den Inhalt anzunehmen, jene Passagen, die in Bezug auf seine Person kontrovers sind.
Der Mut dieser Frau überrascht. Immer wieder unterstreicht sie, dass sie sich vor nichts gefürchtet habe, mutig durchs Leben gegangen sei, mit Zuvertrauen und Spontaneität. „Ich habe mein Leben gemeistert“, sagt Danuta Walesa. Ja, denn sein Leben muss man meistern. Man muss sich mit ihm anfreunden. Und man muss gemeinsam durchs Leben gehen, als Mann und Frau, als Partner.
Das Publikum fragt nach der Müdigkeit. Wie schaffte sie es, acht Kinder großzuziehen? „Bis zu meinem 40. Lebensjahr kannte ich im Alltag das Gefühl von Müdigkeit nicht. Eine Familie zu haben ist eine eigene Philosophie, mein Idealismus hat mir geholfen, immer weiter zu machen. Kindern reicht es doch, wenn man ihnen zu essen gibt, sie unterstützt, sich um sie kümmert. Sie gehen dann alleine durchs Leben, die Jugend hat Kraft“, sagt sie. Frau Walesa wünscht sich, dass die junge Generation im Respekt für die Älteren heranwächst, dass Materialismus für sie nicht oberste Priorität ist. Sie habe im Leben stets nach dem Guten, der Gerechtigkeit und der Wahrheit gestrebt.
Sie bemerkt, dass sie viele Briefe von Frauen erhalte, die sich für ihren Mut, ihre Spontaneität und ihren Optimismus bedanken. Sie regt die Frauen zum Schreiben an, eine Lebensbilanz zu ziehen, da dies eine gute Form der Therapie sei. Dank des Arbeitens an ihrem Buch habe sie ihr Leben erneut durchlebt.
Das Buch Träume und Geheimnisse traf auf enormes Interesse. Es war auch die Grundlage für ein Theaterstück, welches der Feder von Krystyna Janda entstammt. Die Uraufführung hat am 11. Oktober 2012 im Theater „Polonia” in Warschau stattgefunden.
„Ich habe erzählt, wie mein Leben aussah und wie es weiterhin aussieht. Und obwohl ich nicht weiß, wie das klingt, so sage ich, dass ich glücklich bin, obwohl ich mich einsam fühle. Würde ich große Dinge bereuen, so würde ich es auch bei kleinen tun. Und obwohl ich kein normales Leben hatte, bereue ich es nicht. Ich bereue grundsätzlich nichts, was sich in der Vergangenheit zugetragen hat. Ich kann lediglich schöne oder weniger schöne Erinnerungen hegen, denn man zahlt im Leben für alles seinen Preis.“ Diese Worte lesen wir in der Einführung ihres Buches, und man kann diese auch ihr Lebensmotto nennen.
Am Ende der Veranstaltung fragte ich sie nach ihren Träumen. „Ich wünsche mir, dass mein Buch auch im Ausland erscheint“, antwortete Danuta Walesa. Und genau jenes Ausland, in jenem wir leben und wohin, so hoffen wir, das in vielen Sprachen übersetzte Buch der Präsidentengattin gelangen wird, ist Gegenstand unseres Gesprächs. Ich habe ein Exemplar des Buches nach Wien gebracht. In ihm finden sich eine Widmung und Grüße an unsere Redaktion sowie alle in Österreich lebenden Polen. So seien auch wir mutig und haben unsere „Träume und Geheimnisse“.
Was denken Sie über die aktuelle Auswanderungsbewegung vieler junger Polen?
– Jeder muss im Leben seinen Platz finden. Dies kann der Geburtsort sein, ein anderer Ort in der Heimat oder sogar irgendwo im Ausland. Ich habe auch nach diesem Platz gesucht und in außerhalb meines Geburtsortes gefunden, in Danzig.
Über Jahrzehnte hinweg war es ein Traum, einen eigenen Pass zuhause zu haben. Nur wenige konnten ins Ausland reisen. Mit dem Zerfall des Kommunismus änderte sich diese Situation. Wenn junge Menschen glauben, sie hätten anderenorts bessere Chancen, können sie sich dort versuchen. Das Wichtigste ist, dass sie nicht vergessen, wo sie geboren wurden, wer sie sind und dass sie mit ihrer Familie und der Heimat verbunden bleiben. Während der Jahre des Kriegsrechts in Polen in den 80er Jahren sind viele Menschen ausgewandert, darunter waren auch viele Mitarbeiter meines Mannes. So zum Beispiel war eine der Sekretärinnen, Bozena, gezwungen, nach Frankreich auszuwandern. In Paris kam ihr zweites Kind zur Welt. Nach dem Zerfall des Kommunismus kehrten sie nach Polen zurück und ihnen geht es dort jetzt gut. Eine andere der Sekretärinnen, Ewa, kommt jedes Jahr für einige Wochen aus den USA nach Danzig und besucht uns dann immer. Vor einigen Jahren hat ihre Tochter geheiratet. Es gab eine Hochzeitsfeier in den USA, eine in Polen. Ewa hat bereits entschieden, in einigen Jahren für immer nach Polen zurückzukehren. Einige andere unserer Bekannten haben das gleiche Vorhaben. Diese Beispiele zeigen, dass sich einige doch zur Rückkehr in die Heimat entscheiden.
Muss man denn in Polen bleiben, um sich als Pole zu fühlen?
– Wohnt man im Ausland, so muss man sich lediglich als Pole fühlen wollen. Durch die Auswanderung wird der Kontakt mit der Familie zuhause natürlich lockerer. Jedoch im Vergleich zu den 70er, 80er oder 90er Jahren ist die Realität heute eine andere. Es steckt sehr viel Wahres hinter dem Sprichwort, laut welchem wir in einem einzigen großen Dorf leben. Früher musste man Telefongespräche nach Wien oder New York bestellen und dann stundenlang darauf warten. Heute kann man jeden beliebigen Ort auf der Welt telefonisch erreichen, unabhängig von unserem Aufenthaltsort. Früher waren Briefe in die USA zwei oder drei Wochen lang unterwegs. Heute gibt es das Internet. Einen Flug nach Polen kann man innerhalb weniger Minuten buchen. Also schafft man es durchaus, mit der Familie und mit der Heimat Kontakt zu halten, wenn man will. Aber wie ich bereits gesagt habe: man muss es wollen!
Wenn Ihre Kinder im Ausland leben würden, wären Sie glücklich oder enttäuscht? Würden Sie Ihre Rückkehr wollen?
– Einer meiner Söhne, Jaroslaw, hat sechs Jahre lang in den USA gelebt. Er hat dort studiert und gearbeitet. Er hatte die Möglichkeit, dort zu bleiben, hatte eine Aufenthaltsgenehmigung und eine Arbeit. Er ist aber trotzdem zurückgekehrt. Im Moment ist er Abgeordneter im Europäischen Parlament. Hätte er sich damals entschieden, in den USA zu bleiben, wäre ich nicht enttäuscht gewesen. Wie ich gesagt habe, muss jeder im Leben seinen Platz finden. Und wenn sein Platz in den USA gewesen wäre, dann wäre es eben so. Es wäre sein Platz. Das Wichtigste ist, dass es meinem Kind gut geht. Ich weiß, dass er mich besuchen würde, sobald er die Möglichkeit dazu hätte.
Was bedeutet für Sie Patriotismus?
– Dass man weiß, wer man ist, dass man Pole und welche die Heimat ist, also Polen. Und dass man dies seinen Nachfahren, also Kindern und Enkeln, weitergibt. Dazu gehört auch, dass man anderen Polen hilft, wenn man im Ausland lebt. Leider denken viele im Ausland lebenden Polen nur an sich und helfen ihren Landsleuten nicht. Nicht selten ist die Polonia zerstritten. Es ist sehr traurig, dass wir es im Ausland nicht schaffen, zusammenzuhalten, uns gegenseitig zu helfen, gemeinsam zu kämpfen.
Wie kann man Ihrer Meinung nach durch kulturelle Events oder Bewusstseinsbildung die Bindung der Polonia mit der Heimat stärken?
– Jede Form ist geeignet. Dank der Technologie haben wir heute unmittelbaren Zugang zu Wissen. Um ein kulturelles Event oder eine Messe in der polnischen Kirche zu besuchen, bedarf es eines Aufwandes. Man muss diesen Aufwand betreiben wollen. Wie bereits eine polnische Volksweisheit sagt: für den, der will, gibt es keine Schwierigkeiten. Man muss nur wollen.
Übersetzung: Armin Innerhofer